Von Thorsten Benner und Oliver Stuenkel
„Brasilien ist zurück“ erklärte Luiz Inácio Lula da Silva in seiner Rede bei der Weltklimakonferenz in Ägypten im November, wenige Wochen nach dem spektakulären Comeback des zweimaligen Präsidenten gegen den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro. In der Tat: nach den dunklen Bolsonaro-Jahren richten sich viele Hoffnungen der EU und der US-Regierung auf Lula, nicht nur mit Blick auf die Klimapolitik. Es ist ein richtiges Signal, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Januar zu Lulas Amtseinführung nach Brasília reist. Steinmeier würdigt damit den vor einigen Monaten alles andere als ausgemachten friedlichen Machtwechsel in Lateinamerikas größtem Land und möchte „eine neue Phase der strategischen Partnerschaft“ einläuten. Diese muß auf einem realistischen Blick auf die schwierige Lage des neuen Präsidenten aufbauen.
Lulas Wahlkampfslogan „O Brasil feliz de novo“ versprach, Brasilien „wieder glücklich“ zu machen. Der 77jährige spielte auf seine beiden ersten Amtszeiten von 2003-2011 an, in denen einen Ressourcenboom und innovative Sozialprogramme Millionen den Weg in die Mittelschicht ermöglichte und Brasilien als aufstrebende Macht eine prominente Rolle auf der Weltbühne spielte. Heute übernimmt Lula das Steuer eines wirtschaftlich geschwächten und polarisierten Landes. Er stützte sich der Wahl auf eine breite Koalition von ganz links bis in Mitte-Rechts, was im Regierungshandeln zu Spannungen zwischen verschiedenen ideologischen Polen führen wird, auch in außenpolitischen Fragen. Dabei hat das heterogene Bündnis eine denkbar schwache Machtbasis im zersplitterten Parlament. Von den 513 Sitzen im Abgeordnetenhaus wird Lulas Arbeiterpartei nur 79 kontrollieren, 20 weniger als die Partei von Bolsonaro – und muss viele Parteien mit ins Boot holen, um regieren zu können. Zudem haben sich Unterstützer Bolsonaros in den Governeurswahlen der drei wichtigsten Staaten – São Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro – durchgesetzt, und der pro-Bolsonaro Kandidaten haben glänzend im Amazonas abgeschnitten. Bei schwerer Wirtschaftslage ist Lulas fiskalischer Spielraum, die Brasilianer zu beglücken, gering. Nach der Zerstörungswut Bolsonaros stehen im Bildungs- und Umweltschutzsektor riesige Aufräumarbeiten an. Gleichzeitig werden die ideologischen Weggefährten Bolsonaros, der bei der Stichwahl 49.1% der Stimmen auf sich vereinen konnte, alles tun, um Lula zu torpedieren.
Lula hat somit eine weit schwächere Basis für seine außenpolitische Agenda als in seinen ersten beiden Amtszeiten. Ein Teil seiner Energie wird er zunächst darauf verwenden müssen, das diplomatische Porzellan mit den lateinamerikanischen Nachbarstaaten zu kitten, das Bolsonaro zerschlagen hat. Lula ist an der Stärkung der Beziehungen zu Deutschland und Europa interessiert, aber sieht sich nicht in der Rolle, den Europäern nach dem Mund zu reden. Das demonstrierte er schon in einem Interview im Mai, in dem er über den ukrainischen Präsidenten Zelensky sagte: „Dieser Kerl ist so verantwortlich für den Krieg wie Putin“. In einer für Staaten außerhalb des Westens typischen Haltung wird…